Wandel wofür?
– mit Zielen in die Zukunft
von Lara Hartig und Max Hoffmann
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Die Gefahr, etwas aus den Augen zu verlieren
Entscheidungsträger*innen des Strukturwandel laufen Gefahr, Veränderungen stets von einem hohen Abstraktionsgrad aus zu betrachten. Beinahe selbstverständlich wird sich dabei Begriffen wie Region oder Struktur bedient, die uns den vom Strukturwandel betroffenen Ort als Sammlung mehr oder weniger zusammenhängender Eigenschaften im wahrsten Sinne des Wortes greifbar machen soll. Dass beim Strukturwandel lediglich eine Auswahl an Charakteristika der Räume, die Lausitzen genannt werden, zum Tragen kommen kann, ist eine notwendige Voraussetzung, um die Komplexität der Sache zu überblicken.
Wer soll von den gewandelten Strukturen profitieren?
Die Sache mit dem Kohleausstieg...
Durch den Kohleausstieg fällt ein Teil der materiellen Absicherung vieler Menschen weg: Arbeitsplätze bei der LEAG sowie zuliefernde Betriebe der Kohleindustrie und damit viele der für die Region überdurchschnittlich hohen Löhne. Trotz der Milliardensummen an Strukturhilfen, die der Bund in Aussicht stellt, äußerte ein*e Interviewpartner*in aus dem regionalplanerischen Bereich die Befürchtung, dass in gewissen Teilräumen der Lausitzen keine Kompensation für den Wegfall der Kohle-Strukturen zu erwarten sei. Zudem seien die Menschen, die jetzt ihre Arbeit verlieren, häufig nicht diejenigen, die in den neu entstehenden Wirtschaftszweigen neue Anstellungen fänden. Dass alle Lausitzer*innen in befriedigendem Maße strukturell aufgefangen werden, darf daher bezweifelt werden.
Um ein Verständnis für die Bedeutung der Kohle für die Lausitzen, die DDR und die BRD zu bekommen, lohnt sich ein Blick in die Doku Zukunft ohne Kohle des rbb-Fernsehens.
Neben diesen rein materiellen Absicherungen der scheidenden Kohleindustrie geht mit ihr auch ein Teil des regionalen Selbstverständnisses verloren. Denn obwohl die Identitäten der Lausitzen nicht auf Kohle reduziert werden können – sondern dies häufig eine Projektion von Außen ist – wirkt(e) sie vielerorts prägend. Insbesondere zu Zeiten der DDR wurde die Kohleverstromung mit großem Stolz betrachtet – schließlich versorgte sie unzählige Haushalte mit Strom und Wärme, später trugen die Lausitzen zur Energiesicherheit der gesamte BRD bei. Die aus diesem gesamtgesellschaftlichen Nutzen resultierende Wertschätzung der Kohlearbeiter*innen positionierte Kohleabbau und -verstromung somit als sinnstiftende Tätigkeit. Doch das wachsende Bewusstsein für die umweltschädlichen Auswirkungen, sowie die (zumeist von außen kommende) Kritik daran, relativiert diese Sinnstiftung – mit dem Beschluss zum Kohleausstieg versiegt die bereits schwindende Anerkennung gänzlich. Dass der Kohleausstieg von der Bundesebene vorgegeben wird, hinterlässt zudem einen bitteren Beigeschmack verlorener Selbstbestimmung.
Gelungener Strukturwandel macht die Menschen zum Subjekt des Handelns
Der Verlust gesellschaftlicher Wertschätzung, die damit einhergehende Abwertung und der Wegfall materieller Absicherung in den Lausitzen, lässt sich nicht allein auf den Kohleausstieg reduzieren, aber dieser trägt neben anderen Herausforderungen dazu bei. Das Erstarken von autoritärem Rechtspopulismus kann als Reaktion auf diese Erfahrungen verstanden werden, wobei sich der Rechtspopulismus in den Lausitzen politisch in der AfD wiederfindet. Diese erweist sich als sehr erfolgreich, die negativen Emotionen zu instrumentalisieren, jedoch ohne eigenständige Lösungen zu präsentieren, die über das Sündenbockprinzip und die Heraufbeschwörung eines Wir-Gegen-Die-Gefühls hinausgehen.
Mehr dazu findest du hier: Ergebnisse der Analyse
Unsere Forderung ist daher, dass – was auch immer in den Jahren bis zum endgültigen Ende der Kohle 2038 passiert – ausgehend von den Menschen in den Lausitzen Strukturen entstehen, die diese einbinden. Im Gegensatz zu Fragmentierung, Entfremdung und Abgehängt-Sein, soll eine Einbindung stattfinden, bei der gemeinsam mit allen vom Wandel betroffenen Menschen Strukturen erdacht werden, die über eine Symbiose aus materieller Absicherung und einem erfüllenden Lebensstil funktionieren – über eine Harmonie aus Wohnen, Leben, Arbeiten, Mobilität und Einklang mit der Natur, so wie die Menschen sich das vorstellen. Nicht nur sind solche Lebenswelten ein gutes Mittel, um autoritärem Populismus entgegen zu wirken, sondern sie ermöglichen ein selbstbestimmtes Leben. Wenn wir auf dieses Zusammenspiel von materieller Absicherung und einem erfüllenden Lebensstil verweisen, werden wir im Folgenden von einbindenden Strukturen sprechen.
Die Bezeichnung des autoritärer Populismus nach Sager (2019: 83f.) fokussiert sich auf rechte Bewegungen beziehungsweise Regime und kann folgenden Kriterien nach definiert werden:
Anti-Elitismus: Der autoritäre Populismus konstruiert ein moralisch reines ‘Volk’, das korrupten Eliten’ gegenübersteht (ebd.: 83).
Autoritäre Populist*innen lehnen jede Einschränkung des Ausdrucks des Volkswillens ab. (ebd.)
Anti-Pluralismus: Autoritäre Populist*innen behaupten, dass nur sie ‘das Volk’ vertreten, andere werden ausgeschlossen. Es kommt zu einer Artikulation eines singulären gemeinsamen Willens ‘des Volkes’, welcher von jemandem vorgetragen wird, der darauf besteht, ‘das Volk’ als Ganzes zu vertreten. (ebd.: 83f.)
Autokratie: Ein demokratischer Prozess ist unter autoritärem Populismus sinnlos, weil ‘das Volk’ mit einer Stimme spricht und andere kein Recht auf Anhörung haben. Die Regierungsgewalt liegt in den Hände eines ‘starken Führers’. (ebd.: 83f.)
Völkischer Nationalismus: Forderungen nach einer strengen und/oder diskriminierenden Politik gegenüber bestimmten ethnischen oder religiösen Gruppen, die in das Land einreisen oder dort leben (ebd.: 84).
Wie wollen wir zusammen leben und was brauchen wir dafür?
Der Neoliberalismus umfasst eine breite Strömung mit unterschiedlichen historischen wie länderspezifischen Erscheinungsformen, daher müsste eigentlich von ‘Neoliberalismen’ gesprochen werden (Butterwegge et al. 2017: 11). Allgemein strebt Neoliberalismus nach einem Kapitalismus ohne wohlfahrtsstaatliche Begrenzungen – einer neoliberalen Propaganda freier Märkte, die mit einer Politik der Deregulierung, Liberalisierung, Gewinnmaximierung, des Wettbewerbs und Privatisierung einhergeht (ebd.). In den 1990er-Jahren wurden mit der “Liberalisierung der Finanzmärkte […] der massive Rückbau der Sozialstaaten sowie eine Wirtschaftspolitik, die auf die einseitige Verbesserung der Angebotsbedingungen von Unternehmen zielt, die Konturen einer neuen Wirtschafts- und Sozial(un)ordnung” (Ptak 2017: 13) geformt und sichtbar. Ende des 20. Jahrhunderts avancierte der Neoliberalismus zur dominanten Ideologie des Kapitalismus. Dabei ist der Machtanspruch des Neoliberalismus total und universell – total im Sinne einer umfassenden Entpolitisierung des Gesellschaftlichen und universell im Hinblick auf seinen globalen Geltungsanspruch – und entwickelte sich daher zu einer Ideologie der Unumkehrbarkeit und Alternativlosigkeit (ebd.: 13f.).
Wichtig für das Konzept der Neoliberalisierung nach Mayer (2013: 156f) ist vor allem die Prozesshaftigkeit und Pfadabhängigkeit konkreter neoliberaler Projekte, die betont, dass es sich nicht um einen fixierten Zustand, sondern einen offenen Prozess marktorientierter Restrukturierung handelt. Die gegenwärtige Logik räumlicher Entwicklungen – die als neoliberalisierend oder auch unternehmerisch bezeichnet wird – ist auf Wachstum, Profitmaximierung und Selbstverantwortung ausgerichtet (Vogelpohl 2013: 16). Das bedeutet, dass sämtliche Politikbereiche dem übergreifenden Ziel der standortpolitischen Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit und lokalen Generierung von Wirtschaftswachstum untergeordnet werden (ebd.: 22f.). Wesentliche Elemente dieses Prozesses sind Deregulierung, Liberalisierung, Privatisierung und Kommodifizierung sowie eine wachsende soziale Kontrolle. All dies führt zu einer verstärkten Polarisierung der Gesellschaft. (Kellersohn, Paul 2013: 7)
Die aktuelle Form des Kapitalismus propagiert den Weg des stetigen Wirtschaftswachstums bei steigendem Konsum einzuschlagen, um zu einem erfüllenden Leben zu gelangen. Dieser Weg hat nicht nur keine Zukunft – denn er zerstört die Lebensgrundlagen des Menschen –, auf ihm entstehen außerdem Strukturen, die die Gesellschaft in privilegierte und prekarisierte Bevölkerungsgruppen spaltet. Denn die Neoliberalisierung erweist sich immer stärker als Prozess, der die sozialen und ökonomischen Spaltungen sich selbst verstärkend vertieft. Um in Alternativen dazu denken zu können, müssen daher tiefergehende Fragen behandelt werden, als wo welcher Zug zukünftig fahren soll: Was ist das Gute Leben? Wie realisieren wir das Gute Leben? Oder ganz einfach: Wie wollen wir zusammen leben und was brauchen wir dafür?
Da sich die Auseinandersetzung mit solchen grundsätzlichen Fragen des Zusammenlebens thematisch schnell in Denkwelten begibt, in denen es um Identität, Heimat und Gemeinschaft geht, muss hier mit großer Vorsicht agiert werden. Denn abgesehen von der Neoliberalisierung dürfen auch rechtspopulistische und rechtsextreme Narrative das Ideal von einbindenden Strukturen nicht kapern. Die Imagination einer (ethnisch) reinen Volksgemeinschaft, die einen singulären Willen besitzt, klare Geschlechterrollen vorgibt und allen Andersdenkenden diskriminierend bis gewaltbereit gegenübersteht, kann die geforderte Symbiose gesicherter Lebensverhältnisse und eines erfüllenden Lebensstils nicht liefern. Denn letztlich sind die Strukturen einer Volksgemeinschaft nur vordergründig einbindend, in Wahrheit schließen sie aber diejenigen aus, denen die Teilhabe an der konstruierten Gemeinschaft verwehrt wird.
Dass auch viele unserer Interviewpartner*innen den Wunsch haben, Fragen nach dem Guten Leben abseits rechter oder neoliberaler Narrative nachzugehen, trat im Verlauf des Forschungsprojekts klar zu Tage – doch besonders auf kommunaler Ebene reichen die tatsächlich angegangenen Strukturwandel-Projekte selten über die Sanierung von Altbauten, die Ausweisung neuer Wohn- und Gewerbegebiete oder den Ausbau touristischer Infrastruktur hinaus. Grundlegende Fragen stellen sich in diesem Kontext kaum. Wie die lokale Bevölkerung langfristig profitieren kann, wird dabei häufig von der Frage überschattet, wie sich die Kommunen nach außen präsentieren und Wanderungsgewinne erzielen können. Mit für diesen Mangel an kreativen Zukunftsvisionen verantwortlich gemacht werden kann – neben den großen demografischen und anderen Herausforderungen – sicherlich auch das Strukturstärkungsgesetz. Hier legte der Bund fest, wie die Hilfen im Strukturwandel verwendet werden dürfen – hauptsächlich investiv, zivilgesellschaftliche Anliegen haben es daher schwer. Dabei sind genau diese für das Entstehen einbindender Strukturen besonders wichtig.
Über Menschenbilder und planerische Möglichkeiten
Trotz dieses im letzten Abschnitt beschriebenen, begrenzenden Rahmens fordern wir dazu auf, die ungenutzten Potenziale zu nutzen, sich auf kommunaler und regionaler Ebene verstärkt Fragen zu widmen, die einbindenden Strukturen vorausgehen. Als gesellschaftspolitische Praxis, die sich über das Zusammenleben von Menschen untereinander und mit ihrer Umwelt in organisatorischer und räumlicher Weise Gedanken macht, ist dies auch Aufgabe der Planung. Doch können Planer*innen diesem Selbstanspruch überhaupt gerecht werden? Können Strukturen, in denen eine Symbiose zwischen materieller Absicherung und einem erfüllenden Lebensstil geschieht, überhaupt durch planerische Tätigkeit skizziert werden? Die Antwort hängt davon ab, welches Menschenbild vorausgesetzt wird. Denn erst davon ausgehend kann gefragt werden: Wie wollen wir leben und was brauchen wir dafür?
Das Gute Leben wird an anderen Orten bereits gelebt – schonmal etwas von Buen Vivir gehört?
Was ist das Gute Leben?
Würden Menschen nur hyper-individuelle Ansprüche an das Gute Leben stellen, ohne dass gemeinsame Nenner herausgestellt werden könnten, dann hätten einbindende Strukturen schlechte Karten. Es bestünden zu viele widersprüchliche Vorstellungen, denen Planung nicht gerecht werden könnte. Wenn wir jedoch davon ausgehen, dass das Zusammenspiel aus materieller Absicherung und einer Harmonie aus Wohnen, Leben, Arbeiten, Mobilität und Einklang mit der Natur, etwas ist, das gesellschaftlich produziert wird – durch gemeinsame Werte, Lebensweisen oder Zukunftsvorstellungen – dann könnte Planung sehr wohl einen Beitrag dazu leisten, einbindende Strukturen zu schaffen. Wie soll das geschehen? Indem es beim planerischen Handeln stärker um Ansätze des Zusammenlebens geht, die nicht vorgegeben, sondern die erfragt werden. Die räumliche Ausgestaltung dessen und der Weg dahin folgen sekundär. Im Weiteren soll durch eine Aufgliederung planerischer Berufstätigkeiten der Versuch gewagt werden, deren jeweilige Möglichkeitsräume hierfür grob zu skizzieren. Dafür unterscheiden wir zwischen formeller Planung, informeller Planung sowie angebotsorientierter und bedarfsorientierter Planung.
Unter formeller Planung werden gesetzlich geregelte Instrumente und Verfahren verstanden, die auf dem öffentlichen Bau- und Planungsrecht basieren. Sie sind geprägt durch festgelegte Verfahrensschritte und Beteiligungsstrukturen. Das Planungsergebnis formeller Verfahren erzeugt eine Bindungswirkung und somit Planungssicherheit. (Bayerische Architektenkammer o.J.) Beispiele für formelle Planungsinstrumente sind Bebauungspläne, Flächennutzungspläne oder Raumordnungsverfahren.
Informelle Planung bezeichnet Instrumente und Verfahren, die keinen Vorgaben des öffentlichen Planungsrechts unterliegen, so dass sie je nach Anlass, Thema, und räumlicher Situation flexibel ausgestaltet und an die jeweiligen Bedingungen angepasst werden können. Sie ist sowohl für die Vorbereitung der formellen Planung als auch darüber hinaus unverzichtbar. Alle Planungsebenen der Raumplanung in Deutschland verfügen über informelle Planungsansätze. (Akademie für Raumentwicklung in der Leibniz-Gemeinschaft o.J.a) Beispiele für informelle Planungsinstrumente sind Stadtentwicklungskonzepte, Internationale Bauaustellungen oder europäische Raumentwicklungskonzepte.
Angebote Neues zu denken
Zunächst die formelle Planung: Das Baugesetzbuch sowie die Bauordnungen der Länder stecken für die formelle Planung ein Handlungsfeld ab, welches individuelle Auslegungen der Planungsämter und -verbände nur in einem relativ schmalen Spektrum zulässt. Zudem sind die Realisierungen der Vorschläge, die formelle Planung in diesem Rahmen machen kann, großteils durch politische Entscheidungsträger*innen abzusegnen. Damit formelle Planung einbindende Strukturen realisieren kann, muss sie daher Glück mit den politischen Entscheidungsträger*innen haben und wissen, wie der gesetzliche Interpretationsraum geschickt ausgenutzt werden kann.
Die Aufgaben, die Planer*innen in kommunalen oder regionalen Planungsämtern tatsächlich erwarten, sind daher zumeist an einen politisch definierten Bedarf gekoppelt, der fiskalisch getrieben ist. Welche Leistungen der Daseinsvorsorge braucht es in fünf, zehn oder zwanzig Jahren, basierend auf der prognostizierten Wirtschafts- und Bevölkerungsentwicklung? Wie viel Geld nehmen wir dafür in die Hand? Dass bei der Beantwortung dieser Fragen besonders in ländlichen Räumen schon lange lediglich ein Mindestmaß medizinischer, kultureller und sozialer Dienstleistungen als Bedarf diagnostiziert wird, ist ein alter Hut. Abgesehen von miserablen Lebensbedingungen mancherorts entsteht so zudem ein Defizit an Möglichkeiten, mittels neuer Angebote alternative Formen des Arbeitens und Zusammenlebens zu erschließen. Wie die Zukunft allerdings aussehen könnte und was sich die Menschen dafür wünschen, kann gerade bei anfänglich fragilen Entwicklungen nur über Angebote erprobt werden, die Neues wagen. Denn dieses Neue zeigt Potenziale auf, lädt ein auszuprobieren oder deckt tatsächliche Bedarfe, die vorher übersehen oder ignoriert wurden. Um der Forderung nach einbindenden Strukturen gerecht zu werden, muss daher eine Hinwendung zu angebotsorientierter Planung stattfinden. Diese sollte out of the box gedacht werden und in kleinteiliger Zusammenarbeit mit denjenigen ablaufen, die diese Angebote nutzen werden.
Wie die Zukunft allerdings aussehen könnte und was sich die Menschen dafür wünschen, kann nur über Angebote erprobt werden, die Neues wagen.
Gerade der zuletzt genannte Punkt – Partizipation im Sinne von echter Selbstwirksamkeit – ist häufig Aufgabe informeller Planung. Da die Instrumente dieser im Gegensatz zu denen der formellen Planung nicht rechtsverbindlich sind, können hier wesentlich freiere Vorstellungen des Zusammenlebens entwickelt werden, die weniger gesetzliche und politische Vorgaben erfüllen müssen. Einerseits bietet das die Chance, echte Visionen bottom-up und unter dem Einbezug einer Vielzahl von Akteur*innen zu kreieren, andererseits läuft die mangelnde Verbindlichkeit auch die Gefahr, dass den Visionen keine Taten folgen. Versteht man einbindende Strukturen als Ergebnis eines gesellschaftlichen Prozesses, so bieten die Instrumente informeller Planung jedoch den größten planerischen Spielraum, um deren Verwirklichung näher zu kommen
Die Notwendigkeit gelungener Partizipation
In allen Fällen dürfen die Menschen, die von räumlicher Entwicklung (und damit dem Strukturwandel in den Lausitzen) betroffen sind, niemals raumschiffartig beplant werden. Ein ganz pragmatischer Grund dafür ist, so Rechtspopulismus als Reaktion auf Souveränitätsverlust entgegenwirken zu können. Wer mitbestimmen kann, braucht keine Alternative. Doch viel wichtiger ist, dass bei den bisherigen Versuchen Menschen einen spezifischen Lebensstil vorzugeben, nicht selten totalitäre oder diktatorische Regime das Ergebnis waren – genau das Gegenteil unserer Vorstellungen. Denn unser eigentlicher Anspruch an einen gelungenen Strukturwandel ist es, dass Planung zu dem gesamtgesellschaftlichen Prozess beiträgt, aus dem das Gute Leben und einbindende Strukturen resultieren. Dafür kann Planung Räume öffnen, in denen sich Fragen über das Gute Leben gestellt werden. Dass wir dabei als Veranstalter*innen von Runden Tischen, Zukunftswerkstätten, Planspielen usw. auch eigene Vorstellungen mitbringen, ist unumgänglich – sie sollten aber nicht die Ergebnisse der Partizipation verzerren. Hier sei angemerkt, dass uns die vielfältigen Herausforderungen und Hürden gelungener Partizipation bewusst sind, an dieser Stelle aber nicht zufriedenstellend behandelt werden können, was jedoch nicht ihre Problematik und Handlungsnotwendigkeit schmälert.
Wie sich Initiativen sich für mehr Partizipation in den Lausitzen einsetzen, siehst Du am Beispiel der Lausitzer Perspektiven oder der Zukunftswerkstatt Lausitz.
Wie Partizipation frühzeitig gestärkt werden könnte, findest Du in diesem Essay.
Gesellschaftlicher Wandel: Keine Aufgabe Einzelner
In den vorhergehenden Absätzen wurde versucht aufzuzeigen, wie Planung dazu beitragen kann einbindende Strukturen zu schaffen, in denen eine Symbiose zwischen materieller Absicherung und einem erfüllenden Lebensstil geschehen kann. Die Restriktionen denen Planung hierbei unterliegt, sind ein natürlicher Bestandteil demokratischer Gesellschaften, in denen es keine alleinigen Machthaber*innen gibt. Daher ist unsere Forderung keinesfalls, diese Begrenzungen auszuhebeln. Die Politik, die Wissenschaften, Kunst, Architektur, Wirtschaft, Wertvorstellungen, Lebensweisen, usw. – die Existenz dieser unzählbar vielen weiteren Faktoren, die einen Einfluss auf gesellschaftliche Prozesse haben, muss anerkannt und konstruktiv mit diesen gearbeitet werden. Planer*innen müssen sich dieser Abhängigkeiten bewusst sein, um ihren Fokus auf die Punkte zu legen, in denen sie Entwicklungen beeinflussen können.
Wie wollen wir leben und was brauchen wir dafür?
Dies gelingt nur, indem die eigenen Handlungsmöglichkeiten reflektiert werden: Was können wir wie beeinflussen? Was können wir warum nicht beeinflussen? Das Wissen über die eigenen Möglichkeiten, Grenzen und Verantwortungen ist eine Voraussetzung für Klarheit darüber, welche Ansprüche Planer*innen sich selbst stellen können als auch für ein transparentes Wechselspiel zwischen Anforderungen und deren Realisierbarkeit. Die vielfältigen Interdependenzen demokratischer Gesellschaften sind gleichzusetzen mit der kollektiven Verantwortung, sich dieser nicht zu entziehen. Damit in den Lausitzen Bedingungen entstehen, unter denen ein Zusammenspiel von materieller Absicherung und einem erfüllenden Lebensstil gelingt, müssen Bürger*innen, Politiker*innen, Wissenschaftler*innen, Planer*innen, – alle Menschen, die vom Wandel betroffen sind und ihn gestalten – sich auf Augenhöhe miteinander die Frage stellen: Wie wollen wir leben und was brauchen wir dafür?
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Akademie für Raumentwicklung in der Leibniz-Gemeinschaft. o.J.a Informelle Planung. (Zugriff: 23.01.2021) URL: https://www.arl-net.de/de/lexica/de/informelle-planung.
Bayrische Architektenkammer. o.J. Formelle Planung. Pflichtaufgabe der Gemeinde. (Zugriff: 23.01.2021)
URL: https://www.byak.de/planen-und-bauen/architektur-technik/raum-und-flaechenplanung/nachhaltige-orts-und-stadtplanung/kommunale-planarten-und-planungsinstrumente/formelle-planung.html.
Butterwegge, Christoph; Bettina Lösch und Ralf Ptak. 2017. Einleitung. In: Butterwegge, Christoph; Bettina Lösch und Ralf Ptak. 2017. Kritik des Neoliberalismus. Wiesbaden: Springer VS: 11-13.
Kellersohn, Helmut und Jobst Paul. 2013. Einleitung. In: Kellersohn, Helmut und Jobst Paul (Hg.). Der Kampf um Räume – Neoliberale und extrem rechte Konzepte von Hegemonie und Expansion. Münster: UNRAST Verlag: 5-15.
Mayer, Margit. 2013. Urbane soziale Bewegungen in der neoliberalisierenden Stadt. Sub\urban 2013/1: 155-168.
Ptak, Ralf. 2017. Grundlagen des Neoliberalismus. In: Butterwegge, Christoph; Bettina Lösch und Ralf Ptak. 2017. Kritik des Neoliberalismus. Wiesbaden: Springer VS: 13-74.
Sager, Tore. 2019. Populists and planners: ‘We are the people. Who are you?’. Planning Theory 19 (1): 80-103.