zum Einstieg

– über die Lausitzen und über uns

Ein roter Faden in unserem Studienalltag ist das Nachdenken über die politischen Implikationen planerischen Handelns: Wir beobachten stetig die politischen Entwicklungen und sehen uns in der Universität, in Weimar, in Thüringen mit den Resultaten (lokal-)politischer Entscheidungen konfrontiert. Den in der Öffentlichkeit diskutierten Themenkomplexen – etwa Klimakatastrophe, Rechtsextremismus oder, für die Idee, dieses Projekt durchzuführen besonders relevant, Populismus – nähern wir uns jedoch in der Regel zunächst als (engagierte) Bürger*innen und erst dann als Planer*innen.

Transformation, Rechtspopulismus und Planung

Wir, fünf Student*innen der Urbanistik, haben daher in einem Forschungsprojekt im Wintersemester 2020/21 diese Perspektive eingenommen und fragen explizit als Planer*innen: Wie wird unsere Arbeit durch populistische Diskussionen in der Öffentlichkeit beeinflusst? Welche Auswirkungen haben politische und gesellschaftliche Auseinandersetzungen auf das planerische Handeln? Und welche Rolle nimmt Planung in diesem Spannungsfeld ein? Derartige Fragestellungen stehen im Rahmen dieses Semesterprojekts als Ausgangspunkte einer Reflektion und Hinterfragung unserer planerischen Tätigkeit. 

Ziel unseres Projekts ist es, über die Auseinandersetzung mit aktuellen Debatten und Forschungen zum Themenkomplex (Rechts-)Populismus, Partizipation und Planung ein besseres Verständnis von der unserer Disziplin zugrundeliegenden Theorien zu erlangen und somit gleichzeitig Rückschlüsse auf unsere eigenen Aufgaben und Handlungsspielräume zu schließen. Für die konkrete Analyse dieses Themenkomplexes betrachten wir als Fallbeispiel den Strukturwandel in der Lausitz.

Diese Entscheidung haben wir – auch mit Blick auf die Aktualität der Debatte hinsichtlich der Landtagswahlen im Jahr 2019 – getroffen, weil der gegenwärtige Strukturwandel eng mit politischen Beschlussfassungen verknüpft ist, gleichzeitig eine Möglichkeit für partizipative (Um-)Gestaltung des Raums sowie der gesellschaftlichen Strukturen durch die lokale Bevölkerung bietet und somit für uns als Planungsstudent*innen gleich in mehrfacher Hinsicht interessant ist.

Es gibt keine Lausitz!
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Abb. 1: die Lausitzen

Eines der ersten Dinge, die wir über unser Projektgebiet lernen, ist, dass es nicht existiert. Jedenfalls nicht als die Lausitz: Die Region, mit der wir uns beschäftigen, setzt sich aus Teilgebieten verschiedener Landkreise zusammen, die teils in Sachsen, teils in Brandenburg liegen. Aus administrativer Sicht geht es um die Landkreise Görlitz, Oberspreewald-Lausitz, Spree-Neiße und die Stadt Cottbus, sowie um Teile der Landkreise Bautzen, Dahme-Spreewald, Elbe-Elster und Oder-Spree. Von Nord nach Süd werden die Teilräume als Niederlausitz und Oberlausitz bezeichnet (siehe Abb. 1). Auch die angrenzenden Gebiete jenseits der Neiße in Polen gehören zur historischen Landschaft Lausitz. Aufgrund der planerischen und politischen Unterschiede zum deutschen Teil entscheiden wir uns jedoch dafür, ausschließlich das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zu betrachten.

Die polnische Sprache wäre eine zusätzliche Hürde für uns gewesen, die polnischen Lausitzgebiete in unsere Untersuchung einzubeziehen. Wobei wir auch im auf deutschem Staatsgebiet liegenden Teil auf eine für uns fremde Sprache treffen: Sorbisch – bzw. in der Oberlausitz die obersorbische und in der Niederlausitz die niedersorbische Sprache. Die Sorb*innen sind eine von vier anerkannten Minderheiten in Deutschland. Wir betrachten also einen kaum umfassend beschreibbaren Raum, für den auch kein übergreifendes Gefühl der Zusammengehörigkeit existiert – die Einwohner*innen nehmen sich als Oberlausitzer*innen oder Niederlausitzer*innen wahr, aber nicht als Lausitzer*innen.

Um diese Umstände in ihren schwer greifbaren Ausprägungen abzubilden, verwenden wir im Folgenden die Pluralform die Lausitzen für die Gesamtheit der Teilräume, die zusammen gemeinhin als die Lausitz geläufig sind.

11.727 km²

zum Vergleich: das sind etwa 75% der Fläche Thüringens

1,16 Millionen Einwohner*innen
etwas mehr als die Hälfte der Einwohner*innenzahl Thüringens
16,9%

prognostizierter Bevölkerungsrückgang
im Landkreis Spree-Neiße bis 2030

7,1%

prognostizierter Bevölkerungsrückgang
im Landkreis Bautzen bis 2030

Annäherungen an Thema und Projektgebiet

Zu Beginn des Projekts haben wir uns durch Literaturrecherchen theoretische Zugänge konstruiert, über die wir uns dann den Lausitzen zugewendet haben. Dadurch lag der Fokus unserer Beschäftigung zunächst auf einer stark theorielastigen Diskussion von Phänomenen wie Rechtspopulismus, Partizipation und Neoliberalisierung, denen wir uns über Interviews mit lokalen Akteur*innen nähern wollten.

Im Laufe der Interviews, die wir geführt haben, merkten wir, dass wir die Lausitzen mit großen Konzepten und Theoriegebilden nicht zu fassen bekommen und haben uns daher konkreter auf unsere ursprüngliche Motivation zurück besonnen: Wie sollen Planer*innen in transformativen Prozessen und mit rechtspopulistischen Reaktionen auf diese Prozesse umgehen? Dahinter stecken drei Fragenkomplexe, für die wir unsere Analysen von Literatur und Interviews nach Antworten durchforstet haben: Wie funktioniert (Rechts-)Populismus und was bedeuten solche Bewegungen für Planer*innen? Wie funktioniert Planung – beispielhaft am Strukturwandel – in transformativen Prozessen? Und wie wird überhaupt Strukturwandel an sich gesteuert?

Die Lausitzen und der Strukturwandel

Bei der Erarbeitung des Projektvorhabens waren die Herausforderungen und Konflikte, die aus dem Strukturwandel nach dem Kohleausstieg resultieren, die entscheidenden Faktoren für die Auswahl dieser Region. Das Lausitzer Braunkohlerevier besteht aus derzeit vier aktiven Tagebaugebieten im sächsisch-brandenburgischen Grenzgebiet südöstlich von Cottbus. Im Gebiet wurde seit dem Ende des 19. Jahrhunderts Tagebau betrieben, noch zu DDR-Zeiten wurde die Erschließung in industriellem Maße vorangetrieben, sodass im Zusammenhang mit der Industrie bis zu 80.000 Arbeitsplätze geschaffen werden konnten (Gürtler et al. 2020).

Heute gibt es etwa 8.200 Arbeitsplätze in der Bergbauindustrie, weitere 25.000 werden für Zuliefer*innen etc. veranschlagt (Delcker et al. 2014) – es ist offensichtlich, welche Bedeutung dieser Industriezweig für die Region hat. Zwischen 1995 und 2015 verließ – auch wegen des Strukturbruchs nach dem Ende der DDR – knapp jede*r fünfte Einwohner*in die Lausitzen. Dementsprechend wurde Braunkohle bei den Landtagswahlen im Jahr 2019 aktiv als Thema gesetzt – insbesondere durch rechtsnationalistische Kräfte (Gürtler et al. 2020). In der medialen Berichterstattung wird das Thema Lausitzer Braunkohlerevier ebenfalls aufgegriffen und bisweilen auch dramatisiert: „Wo Deutschland an der Abbruchkante steht” (Smoltczyk 2020).

Die Bundeszentrale für politische Bildung hat eine Ausgabe ihrer Zeitschrift ‘Aus Politik und Zeitgeschehen’ den Lausitzen und dem Strukturwandel gewidmet.

Lage der derzeit aktiven Tagebauten
im Lausitzer Braunkohlerevier (rot)

Spreewald (violett)
und Oberlausitzer Teiche- und Seenlandschaft (gelb)

+10%

Zunahme der Anzahl sozialversicherungspflichtiger Arbeitnehmer*innen in den Lausitzen zwischen 2007 und 2017

19,4%

Anteil der unter 25-jährigen an den Arbeitnehmer*innen
in Bergbau und  Energieversorgung im LK Oberspreewald-Lausitz (2017)

37,2%

Anteil der Zweitstimmen für die AfD
bei der Landtagswahl 2019 im Wahlkreis Görlitz III

+24,3%

Stimmenzuwachs in Prozentpunkten für die AfD
bei der Landtagswahl 2019 im Wahlkreis Spree-Neiße II

Die Lausitzen und wir

Im Rahmen unseres Projektes untersuchen wir Student*innen die Lausitzen als Außenstehende: Niemand von uns ist auf dem Gebiet der ehemaligen DDR aufgewachsen, niemand von uns hat schon nennenswert Zeit in den Lausitzen verbracht – so nehmen wir gezwungenermaßen eine explorative Perspektive ein, die uns als angehende Planer*innen unterstellt wird und durch die wir nur allzu leicht als naive Besserwisser*innen wahrgenommen werden können. Noch stärker als sonst wirkt dieser Umstand aufgrund der fehlenden Möglichkeit, eine Exkursion zu machen und unsere Recherche mit Eindrücken erster Hand aus dem Projektgebiet zu verbinden. Im Vergleich zu anderen Semesterprojekten bleiben unsere Analysen daher ein Stück weit Trockenübungen – da allerdings ein Großteil dieses Projekts ohnehin im Nachdenken über eigene Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortungen besteht, hat unsere Projektarbeit auch im digitalen Wintersemester 2020/21 funktioniert.

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Die auf dieser Seite präsentierten Statistiken sind der Broschüre Die Lausitz. Zahlen und Fakten – ein Überblick der Zukunftswerkstatt Lausitz aus dem Jahr 2018 und der Broschüre Die Lausitz. Eine Region im Wandel des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung entnommen.

Gürtler, Konrad; Victoria Luh und Johannes Staemmler. 2020. Strukturwandel als Gelegenheit für die Lausitz. Warum dem Anfang noch der Zauber fehlt. Aus Politik und Zeitgeschichte 70 (6-7/2020): 32–39.

Smoltczyk, Alexander. 2020. Wo Deutschland an der Abbruchkante steht. (Zugriff: 13.07.2020) URL: https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/strukturwandel-in-der-lausitz-wo-deutschland-an-der-kante-steht-a- 00000000-0002-0001-0000-000171875111

Abbildungen

Abb.1: Die Lausitzen. Eigene Darstellung auf Grundlage von Kartendaten der OpenStreetMap. © OpenStreetMap contributors.

Abb. 2: Lage der derzeit aktiven Tagebauten im Lausitzer Braunkohlerevier. Eigene Darstellung auf Grundlage von Kartendaten der OpenStreetMap © OpenStreetMap contributors.

Abb. 3: Spreewald und Oberlausitzer Teiche- und Seenlandschaft. Eigene Darstellung auf Grundlage von Kartendaten der OpenStreetMap und des Regionalen Planungsverbands Oberlausitz-Niederschlesien (Hg.) o.J.: Die naturräumliche Gliederung der Planungsregion. (Zugriff: 08.02.2021) URL: https://www.rpv-oberlausitz-niederschlesien.de/planungsregion/naturraeume.html